Lerchengesang Kuttergetucker uvm.
Meerkajak-Paddeln in der Dänischen Südsee

Land: Dänemark

Lerchengesang Kuttergetucker uvm.

In Vindeby auf Tåsinge stechen wir in die Ostsee. Für Autofahrer ist Tåsinge ein Inselchen, für uns Kajakfahrer ein Kontinent. Eingefügt zwischen den Planeten Fünen und Langeland. Eine Woche lang wollen wir in Dänemarks Südsee abtauchen. Als Kajaknomaden das Inselmeer südlich von Fünen durchstreifen, mit Zeltplätzen als Nachtquartier. Wieviele Paddelzüge wohl in 100 Kilometer Reise passen? Jeden Armzug gilt es auszukosten.

Ein Paddeltag beginnt mit einem Nadelöhr, der Einstiegsluke. Hat man erstmal die Beine reingepfriemelt und sich auf der Sitzschale zurechtgeschuckelt, sind die Gehwerkzeuge stillgelegt. Eine Spritzwasserschürze um Leib und Luke hält die Beine außer Reichweite. Aufs Deck kommen abgezählte Habseligkeiten. Buch, Kulturbeutel, Funktionskleidung, Kopflampe, Handy, alles wasserdicht in blauen Säcken verstaut. In die Luken vorne und hinten kommen Kochtöpfe, Kohlehydrate, Vitamine. Weinkartons erweisen sich als ideal zum Austarieren der Bootsbalance.

Kuttergetucker und Lerchengesang

Der erste Landfall ist eine gefühlte Eroberung! Skarø heißt unsere Beute, zwei Quadratkilometer klein, von 40 Insulanern bewohnt. Mit dem Geschaukel der Seefahrt noch in den Beinen beziehen wir Quartier. Der Proviantvorschuss vom Reiseveranstalter wird begutachtet. Ökowein, H-Milch für den Cappucino, Aldiwurst, Gemüse. Küchenkapitäne schälen sich heraus. Beim Schnibbeln und Abwasch erfährt man so manches über die Mitpaddler. Etwa, dass die Einerfahrerin im Alltag nicht solo werkelt, sondern im Opernchor singt.

Ein Inselmorgen ist ein Geschenk für Frühaufsteher. Hinter dem Zeltreißverschluss ist die Welt noch taufrisch. Halbfernes Kuttergetucker und Lerchengesang. Eine Schwanfamilie raschelt im Uferschilf und gleitet aufs Wasser. Kühe mit rotem Wikingerhaar halten die Stellung an Land. Häuser haben rotweißes Fachwerk, die gleichfarbige Landesflagge fliegt weithin sichtbar. Wegränder sind von blaublühender Wegwarte und Klatschmohn gesäumt.

Nach dem Frühstück sind wir schnell fertig mit Insel, Blumen und Kühen. Das liegt am Blau. Eine Farbe von anarchischer Sogkraft. Flottenführer Andreas hat Mühe, sein kippeliges Dutzend beisammen zu halten. Windstille verleitet manche zu Ausflügen weg vom Uferkurs. Andere kämpfen noch mit dem Zusammenspiel im Boot. Im Zweierkajak ist Harmonie entscheidender als in der Ehe. Vorn wird der Takt bestimmt, hinten gesteuert. Fortkommen verlangt Symbiose, Scheidung gibt‘s erst wieder an Land. Einerfahrer sind dagegen nur mit ihrem inneren Schweinehund unterwegs. Den kennt man wenigstens. Hauptsache, man kann die Solopaddler abends wieder zum Zwiebelschneiden einbinden.

Strynø hat den Inselfluchttrend umkehren können

Strynø, unser nächstes Ziel, liegt noch hinterm Horizont. Drejø und Hjortø haben wir dagegen bald vorm Bug. Insel heißt auf dänisch wunderbar simpel nur Ø. Auf die kleineren Eilande im Sydfynsk Øhav - dem Südfünischen Inselmeer - passt das Miniwort perfekt. Eigentlich ist immer dort ein Ø, wo der flache Seeboden ein paar Meter aus dem Wasser lugt. Allerdings ist nicht alles, was nach Ø aussieht, auch ein Stück Land. Zwischen Strynø, Drejø und Ærø erscheinen am Horziont flirrende Streifen, die so lange als Sandbank durchgehen, bis sich Schwärme von rastenden Vögeln aufschwingen.

Strynø misst fünf Kilometer im Quadrat, hat Dänemarks größte Aprikosenplantage und ist mit 220 Einwohnern ein veritabler Kosmos. 50 Kinder gehen in Kindergarten und Grundschule. Strynø hat den Inselfluchttrend umkehren können. Wir schlagen unser Lager am Smakkecenter auf, eine Stiftung für die Natur- und Kulturgeschichte des Inselmeers. Das Smakkecenter verleiht traditionelle Smakkejollen, unterhält den Campingplatz und ist Sitz eines Inselrats, der 27 Kleininseln umfasst.

Stockrosen, Kopfsteinpflaster und Fachwerk

Am dritten Paddeltag trödeln wir über golden schimmernden Grund und überziehen die Mittagsrast beim Baden an sonnengetränkten Gestaden. Es scheint, als würde uns Ærø, unser nächstes Ziel, nicht besonders locken. Die Insel erscheint mit ihren 30 Kilometern Länge fast einschüchternd. Wir entscheiden uns, Æroskøbing anzusteuern, den malerischen Inselort mit fast 1.000 Einwohnern.

Dort scheinen die Straßenzüge in einer guten alten Zeit verankert, mit Stockrosen vor Fachwerkfronten, hinter denen es sicher sehr dänisch zugeht. Vielleicht auch noch ærøskøbisch, denn die ehemals kleinste Stadt des Herzogtums Schleswig ist erst seit knapp 150 Jahren dänisch. Neben dem Campingplatz säumt eine Allee entzückender Badehüttchen das Ufer. Abends hat man die Qual der Wahl: Den verglühenden Mittsommertag am Badesteg mit einem Fläschchen Wein verabschieden oder urige Kneipenatmosphäre mit dänischen Zupfgeigenhanseln genießen.

Von Avernakø nach Faaborg auf Fünen

Vierter Paddeltag. Luft 25 Grad, Meer glatt und glitzernd, Sonne brennend im Nacken. Austernfischer und Kiebitze halten den Schnabel und rasten träge an Ufern. Die Bedeutung des Begriffs Untiefe lotet aus, wer auf hoher Ostsee urplötzlich auf dem Trockenen hockt. Bei Wind würde es sich elanvoller paddeln.

Am nächsten Tag beflügelt uns eine steife Brise. Es sind nur sechs Kilometer vom Nachtlager auf Avernakø bis zur Stadt Faaborg auf Fünen, die im Wellenrhythmus auf- und abtaucht. Unsere Flotte tanzt elegant durch dichten Schiffsverkehr. Es kribbelt wohlig vom Magen bis in die Haarspitzen.

In Faaborgs Hafen parken wir an einem Seekajakpier. Nach einem Stadtausflug paddeln wir entlang der Küste weiter nach Osten, Richtung Tåsinge. Unweit einer winzigen Insel mit Sommerhaus und Flaggenmast steuern wir einen einsamen Zeltplatz an, unseren letzten. Ein Radler aus Missouri/USA reibt sich die Augen, als wir in seine Idylle einbrechen. Er vertieft sich konsterniert wieder in sein Buch über den D-Day, den Tag der amerikanischen Landung in der Normandie. Mit Kajakflotten ist demnächst im dänischen Inselmeer zu rechnen.

Text: Bruno Lamar


Schlagwörter: Meerkajak-Paddeln Dänischen Südsee Paddeltag Zupfgeigenhanseln Kneipenatmosphäre Dänemark Inselfluchttrend Lerchengesang Kuttergetucker Fünen